“Thais, die in Deutschland studieren, sind anders. Die wissen, was sie wollen!”
Mit vielen neuen und einigen überraschenden Einsichten wurden die Besucher des Symposiums “150 Jahre deutsch-thailändische Beziehungen” auf dem dritten “Thai Tag” der Universität Hamburg belohnt.
Von Hans Michael Hensel
Hamburg. Der wohl bisher informativste “Thai-Tag”, der sich in diesem Jahr aus Anlaß der hundertfünfzigjährigen Geschichte thai-deutscher Beziehungen über drei Tage erstreckte, ging am Sonntag an der Universität Hamburg zu Ende.
Die Organisatoren im Asien-Afrika Institut um Prof. Volker Grabowsky, die von der Hamburger Gesellschaft für Thaiistik, der Thailändischen Botschaft, der Stiftung Universität Hamburg und der Krohn-Stiftung unterstützt wurden, hatten nicht weniger als 29 Vorträge und zahlreiche Rahmenveranstaltungen aufgeboten. Letztere gingen vom Dokumentarfilm über eine Ausstellung von Werken von Rudolf Hampe, Demonstrationen traditioneller Thai Massage, dem ersten Mak Ruk Turnier (der Thai-Art des Schachspielens) außerhalb Thailands, bis hin zu einem Konsulatssprechtag in den Hallen des Instituts. Ein weiterer Höhepunkt war eine zweistündige Tanz- und Ballettvorführung des Kulturensembles der Walailak Universität (Nakhon Si Thammarat), die tradtionelle Tänze Thailands in höchster Vollendung bot.
Schon am Abend vor dem Symposium hatte Thailands Honorargeneralkonsul in Hamburg, Wolfgang Krohn, zu einem Empfang geladen und es dort ganz zurecht nicht versäumt, darauf hinzuweisen, daß die Hansestadt Hamburg bereits vor dem preußischen Reich, nämlich 1858, mit Siam diplomatische Beziehungen aufgenommen hatte. Der mit der Regierung von König Mongkut ausgehandelte “Hanseatische Vertrag” diente zudem, wie Iris Vitense anderntags in einem Vortrag aufzeigte, als Vorbild für den 1961 ausgehandelten Siamesisch-preußischen Vertrag. Als Ehrengast konnte Krohn die designierte neue Botschafterin Thailands in Berlin, Nongnuth Phetcharatana, begrüßen.
Es ist unmöglich, in diesem Rahmen auch nur annähernd zu versuchen, die wichtigsten der bemerkenswerterweise, mit nur zwei Ausnahmen, allesamt deutschsprachigen Vorträge des ersten Tages herausheben zu wollen. Dennoch gab es Höhepunkte, die in Erinnerung bleiben werden, so der Vortrag von Prof. Pornsan Watanangura von der Chulalongkon Universität über “Die Rolle Deutschlands bei der Wahrung der Unabhängigkeit Siams […]”, die wichtiger gewesen sei als oft angenommen.
Prof. Kittisak Prokkati von der Thammasat Universität sprach über den “Einfluß des deutschen Rechts auf das gemischte thailändische Rechtssystem”. Unter Fachleuten ist umstritten, von welchem Land aus der größte westliche Einfluß auf die stark buddhistisch beeinflußte Rechtskultur Thailands ausgeübt wurde. Tatsache ist, so Prof. Kittisak, daß Siam die westliche Kolonialisierung auch deshalb abzuwenden vermochte, indem es die westliche Modernisierung rechtzeitig nachahmte, und zwar auch auf juristischem Gebiet.
Nicht ohne Grund drängten sich die Zuhörer ganz besonders, als Dr. Catthiyakorn Sasitharamas”) über “Thailand und Deutschland im Zeitalter des Nationalsozialismus” sprach. Die in Hamburg promovierte und seit kurzem an der Sinakharinwirot Universität in Bangkok lehrende Historikerin betrat in ihrem Vortrag ein bisher fast unbearbeitetes Feld.
Erstaunlich wenig bekannt ist etwa, daß die heute in Thailand verbreitete Grußformel “Sawatdi” (von Sanskrit “Svasti” = u. a. “Heil”) erst Ende der 1930er Jahre ganz bewußt geprägt wurde, weil die nationalistisch eingestellte Führungselite, die Hitler, Mussolini und Franco als Vorbilder betrachtete, dem zeitgemäßen europäischen Faschistengruß etwas Gleichwertiges zur Seite setzen wollte. Nicht nur hatte Feldmarschall Plaek Phibunsongkram eine Büste von Mussolini im Amtszimmer, auch gemeinsame Ferienlager der Sprößlinge führender Familien mit der Hitlerjugend sind verbürgt.
Es schloß sich eine lebhafte Diskussion an. Prof. Ampha Otrakul, die zuvor mit der Familiengeschichte des mit einer deutschen Frau verheirateten Prinzen Rangsit einen weniger bekannten Aspekt der Thai-Deutschen Geschichte beleuchtet hatte, trug Anekdoten aus ihrer Schulzeit bei. Auch nach 1945 war die nationalpatriotische Einstellung einer Mehrheit von Thailands politischen Führern, Lehrern und Beamten noch ungebrochen lebendig — und ist es in gewisser Weise zumindest teilweise auch heute noch.
Ein Höhepunkt der deutschsprachigen Vorträge war zweifellos der sehr persönliche, in freier Rede gehaltene “Kultureller Wissenstransfer zwischen Deutschland und Thailand” von Privatdozent Chaiwat Thirapantu. Der aus Nakhon Si Thammarat stammende Präsident des “Thai Civicnet” Instituts betonte gleich eingangs — und bewies es alleine schon durch sein Auftreten — daß er stolz darauf sei, “made in Germany”, also in Deutschland ausgebildet worden zu sein. Jenes Markenzeichen sei seit dem Ende des 19. Jahrhunderts für Thais zu einer Art Garantie an sich geworden.
Seine Lieblings-Großtante, die eine deutsche Haushaltsfachschule besuchte, als ihr Mann in Jena Chemie studierte, war bereits in den 1920er Jahren in Deutschland. Beide nahmen die dort erworbenen wissenschaftlichen Kenntnisse und sozialen Erfahrungen mit nach Hause. Diese prägten in der Folge auch privat den Haushalt, etwa in punkto Pünktlichkeit, Disziplin und Sauberkeit — von gelegentlichen, höchst willkommenen Einladungen zu Thüringer Bratwurst auf Sauerkraut ganz abgesehen…
“Deutsch ist für Thais schwerer zu erlernen als Englisch”, sagte Chaiwat. Schon deshalb müßten Thai-Studenten, die diesen Weg gingen, selbstbewußter und zielstrebiger, ja in gewisser Weise “härter” sein als ihre Altersgenossen: “Ein Thai, der es auf sich nimmt, in Deutschland zu studieren und dafür die Sprache zu lernen, weiß normalerweise genau, was er will.”
Chaiwat machte keinen Hehl daraus, daß seine Studienjahre in Deutschland von der Außerparlamentarischen Opposition (APO) geprägt worden seien. Als Präsident des Thai Studentenvereins in Deutschland lud er 1972, ein Jahr vor den blutig vom Militär beendeten Protesten der Studenten in Bangkok, den des Landes verwiesenen Pridi Phanonmyong zu einer Rede vor den deutschen Thai Studenten ein. Heute versucht Chaiwat, die Idee der Bürgerinitiativen und Bürgerforen nach Thailand zu übertragen. Das 1993 gegründete “Bangkok Forum” zum Beispiel hat die kulturelle Entwicklung und Wiederbelebung der Altstadtviertel zum Ziel und führte 1998 erstmals ein Straßenfest nach deutschem Muster durch.
Für sich selbst hat Chaiwat aus der deutschen Kultur vor allem das ganz andere Verständnis von “Freundschaft” mitgenommen. Während man in Thailand — wie fast überall in Asien — dazu neigt, außerhalb der Familienbeziehungen allenfalls lockere und zeitlich befristete Interessensgemeinschaften mit nützlichen Personen zu bilden, gelte hier: “Wenn man einen deutschen Freund hat, dann hat man den fürs Leben”. Und es handele sich um “richtige Freundschaft, nicht geschäftliches Interesse.”
“Der Einfluß deutscher Denker auf soziale und politische Bewegungen in Thailand” war das dazu passende Thema von Prof. Cholthira Satyawadhna von der Walailak Universität. In der Diskussion ergab sich ein bemerkenswerter Aspekt, nachdem Prof. Chonthira in ihrem Vortrag notwendigerweise auf Karl Marx in der Übersetzung des 1966 ermordeten Chit Phumisak, einem frühen und bis heute durch seine Ideen und Bücher einflußreichen Vertreter der thailändischen Studentenbewegung, zu sprechen kam.
Ein Zuhörer nannte Karl Marx daraufhin einen Versager, was dessen Weltsicht, den Kommunismus beträfe, sowie einen “Massenmörder”. Er wolle statt dessen lieber von anderen deutschen Philosophen hören, die auf Thailand Einfluß genommen hätten.
Der Beitrag war bemerkenswert, da jener Zuhörer in Hanoi arbeitet, unter den Nutznießern und Nachfolgern jener weltanschaulichen “Versager”, die von dort aus unter der Führung von Onkel Ho, der sich auf Marx berief, sämtliche Kolonial- und Hegemonialmächte mit Ausnahme der modernen Großbanken für immer aus ihrem Land geworfen haben und nebenbei sogar noch die Steinzeitkommunisten im benachbarten Kambodscha zurück in den Urwald schickten.
Eine vollständige Liste aller 29 in Hamburg gehaltenen Vorträge kann auf der Internetseite der Hamburger Gesellschaft für Thaiistik heruntergeladen werden. Eine Buchveröffentlichung mit den deutschsprachigen Vorträgen ist vorgesehen.
Quelle: http://www.thailandtip.net/tip-zeitung/nachrichten/news/thais-die-in-deutschlandland-studieren-sind-anders-die-wissen-was-sie-wollen/