“Wie wir einander im Licht der Globalisierung wahrnehmen” – Thai Studies Konferenz an der HU
Bericht über die Thai Studies Conference am 15. und 16. Juni 2012 des Instituts für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin
Vor 150 Jahren, am 7. Februar 1862, schloss der preußische Gesandte Graf Friedrich zu Eulenburg im Auftrag des preußischen Königs und im Namen des Deutschen Zollvereins und der Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz einen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag mit dem Königreich Siam. Damit beginnen die diplomatischen Beziehungen zwischen Thailand (Siam) und Deutschland (Deutscher Zollverein/Mecklenburg Schwerin und Mecklenburg Strelitz).
Aus diesem Anlass veranstaltete das Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin am 15. und 16. Juni eine Thai Studies Conference zu dem Thema How we see each other in the Age of Globalization, Contradictory and Changing Perspectives on Political, Cultural and Social Aspects in the History of the Other Country.
Möglich wurde diese Konferenz durch die großzügige Unterstützung der Königlich Thailändischen Botschaft in Berlin. Insgesamt vier Wissenschaftler aus Thailand und von der Cornell University konnten mit Unterstützung der diplomatischen Vertretung nach Berlin eingeladen werden (Prof. Dr. Charit Tingsabhad, Prof. Aratee Kaeosumitr, Prof. Thanomnuan O’Charoen und Prof. Arnika Fuhrmann).
Mit dem Thema der Konferenz, How we see each other in the Age of Globalization, sollte der Blick auf die Veränderungen gelenkt werden, denen die Thai-Deutschen Beziehungen im Laufe der Zeit unterworfen waren.
Aus deutscher Sicht galt Thailand lange Zeit als ein exotisches und mysteriöses Land. Nur Diplomaten, Geschäftsleute, Handelstreibende und die in den siamesischen Staatsdienst berufenen Fachleute kannten Siam aus eigener Erfahrung. Aus ihren Überlieferungen entstand das Bild des geheimnisvollen und unbegreiflichen, gleichermaßen anziehenden wie in seiner Unnahbarkeit verstörenden Landes.
Auch das Bild, das sich Siam von Deutschland machte, war über Jahrzehnte von den Berichten einiger weniger privilegierter Thailänder, die ihre akademische oder militärische Ausbildung in Deutschland erhielten, bestimmt. Ihre Eindrücke spiegeln die typische Mischung aus Sehnsucht nach heimatlicher Geborgenheit und Bewunderung für ein hochentwickeltes und effizientes Staats- und Wirtschaftswesen. Die spezifisch deutsche Kultivierung romantischer Traditionen und ihre Inanspruchnahme für die nationale Mythenbildung übten einen zusätzlichen Reiz aus.
Mit dem Aufkommen des Massentourismus in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts verändert sich die traditionelle gegenseitige Wahrnehmung der Deutschen und der Thais. Die wenig später einsetzenden umwälzenden Entwicklungen auf dem Gebiet der Informations- und Datentechnologie ließen weltweit die alten nationalstaatlichen Denk- und Wahrnehmungskategorien als zunehmend problematisch erscheinen. Die Durchlässigkeit von Grenzen und die ungehinderten Informationsströme wurden nicht nur als Chance, sondern auch als Bedrohung empfunden und riefen nicht selten ein verstärktes Bedürfnis nach Abgrenzung und Schutz hervor. Im Spannungsverhältnis zwischen der Entwicklung hin zu einer globalen, eurozentrischen Zivilgesellschaft und einem bisweilen fundamentalistischen Rekurs auf religiöse Traditionen und nationale Mythen befinden sich auch die bilateralen Beziehungen zwischen Thailand und Deutschland in einem Prozess der Veränderung.
Eröffnet wurde die Konferenz mit einer Ansprache des Vizepräsidenten für Studium und Internationales der Humboldt-Universität, Prof. Dr. Kämper-van den Boogaart, der mit einem Zitat aus der Kurzgeschichte Farang von Rattawut Lapcharoensap den Kern der veränderten, gleichwohl ambivalenten Wahrnehmung traf: Am Strand von Pattaya entwickeln die Einheimischen eine Nationaltypologie der Ströme zumeist männlicher Touristen aus den wohlhabenden Industrieländern.
Ihre Exzellenz, Frau Nongnuth Phetcharatana, Botschafterin des Königreichs Thailands, ging in ihrem Grußwort auf die politische Dimension der veränderten Wahrnehmung ein: die thai-deutschen Beziehungen seien heute Teil der Beziehungen zwischen den Ländern der ASEAN Staatengemeinschaft und den Ländern der Europäischen Union. Gleichzeitig sprach Frau Phetcharatana über die historische Bedeutung Berlins in der Geschichte der Thai-Deutschen Beziehungen. Dabei beleuchtete sie Berlin sowohl als Zentrum der frühen ethnologischen und philologischen Forschung über Thailand, die mit den Namen Oskar Frankfurter und Adolf Bastian eng verbunden ist, als auch als Ort der Ausbildung vieler hochrangiger thailändischer Persönlichkeiten, die ihre in Deutschland erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen in hohen Positionen der Staatsverwaltung in Thailand weitergegeben haben und einen maßgeblichen Anteil an dem positiven Deutschlandbild Thailands haben.
Entsprechend der zweifachen Blickrichtung der Konferenz, dem nach vorne gerichteten Blick auf die thai-deutschen Beziehungen in einer globalisierten Welt einerseits, und der historischen Rückschau auf frühere Komponenten der bilateralen Beziehungen andererseits, fand die Konferenz zweisprachig statt. Den englischsprachigen ersten Teil eröffnete Prof. Rehbein (HU Berlin) mit einem Überblick über die Verschiebungen der Wahrnehmungskoordinaten und die Auflösung traditioneller bilateraler Konzepte durch die immer dichter werdenden Vernetzungen in der Globalisierung.
Prof. Houben (HU Berlin) sprach über den Blick der südostasiatischen Nachbarländer auf Thailand in der Zeit des ersten großen Modernisierungsschubes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, eine zu oft vernachlässigte Perspektive, die auf spannende Art und Weise in Prof. Pongsawats (Chulalongkorn Universität, Bangkok) Vortrag über The Easternization of Thailand – Dealing with the Korean, Japanese, and Taiwanese Waves of Alternative Modernity aufgegriffen wurde.
Abgeschlossen wurde der Überblick über den Umfang des thematischen Rahmens durch Prof. Charit Tingsabhad, dem Gründungsdirektor des Institute for European Studies an der Chulalongkorn Universität, mit seinem Vortrag über Deutschland und Europa aus thailändischer Sicht.
Im ersten Beitrag zu einer speziellen Einzelproblematik befasste sich Prof. Volker Grabowsky (Hamburg) mit der Darstellung der politischen Verhältnisse in Siam/Thailand zwischen 1925 und 1945 in zeitgenössischen deutschen Dokumenten. Deutlich wurde, wie unproblematisch auf beiden Seiten das Verhältnis war, dass also weder der politische Umschwung in Thailand von 1932, noch der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland als beunruhigend oder bedrohend, sondern als Ausdruck einer allgemeinen und selbstverständlichen nationalen Zeitströmung empfunden wurden.
Mit Prof. Christian Bauers (HU Berlin) Vortrag über die viel zu wenig bekannte und gewürdigte Rolle Oskar Frankfurters in der Geschichte der philologischen Forschung zur thailändischen Sprache begann eine Reihe von Vorträgen über einzelne Persönlichkeiten aus Geschichte und Gegenwart der thai-deutschen Beziehungen. Prof. Bauer wies darauf hin, dass die Spuren von Frankfurters verdienstvollem Wirken durch Nachlässigkeit, widrige politischen Zeitumstände aber auch eine fehlerhafte wissenschaftliche Rezeption verwischt worden sind. Frankfurter war nicht nur Mitbegründer und später Präsident der Siam Society, er baute auch die thailändische Nationalbibliothek auf und leitete sie bis 1917. Zu Unrecht steht er heute in der öffentlichen Wahrnehmung im Schatten seines Nachfolgers George Coedès, der der Grundlagenarbeit Frankfurters viel zu verdanken hat.
Karl Döhring, ein Zeitgenosse Frankfurters, war ein deutscher Architekt im siamesischen Staatsdienst. Seine Bauwerke werden in den meisten deutschsprachigen Reiseführern erwähnt. Weitgehend unbekannt ist, dass er vor dem Hintergrund seiner Erlebnisse und Erfahrungen in Siam auch vier Trivialromane geschrieben hat. Sie lesen sich stellenweise wie eine populäre Einführung in die siamesische Kultur und sind eine reiche Fundgrube für alle, die sich ein Bild von der stereotypen westlichen Wahrnehmung Siams in der Zeit vor dem Massentourismus, den Massenkommunikationsmitteln und den politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts machen möchte. Prof. Aratee Kaeowsumrit (Chulalongkorn Universität, Bangkok) stellte Döhrings seinerzeit vermutlich populärsten Roman, Im Schatten des Buddha, vor, der von der Lebensgeschichte des Prinzen Dilock inspiriert ist.
Kontrastiert wurden die beiden Darstellungen des Wirkens einflussreicher deutscher Persönlichkeiten aus dieser in der Rückschau geradezu idyllisch erscheinenden Zeit vor dem Eintritt Siams in den Ersten Weltkrieg und der Deportation der in Siam lebenden Deutschen, (die auch der Arbeit und dem Aufenthalt Frankfurters ein abruptes Ende setzte), mit dem Bericht von Prof. Arnika Fuhrmann (Cornell University) über die thailändische Künstlerin Araya Rasdjarmrearnsook, deren Werke zur Zeit auf der Documenta 13 präsentiert werden.
Als passenden Abschluss des ersten Tages der Konferenz berichtete Prof. Trenk (Frankfurt) unter dem Titel Abwehr und Verlangen über 150 Jahre deutsch-thailändischen kulinarischen Austausch.
Der zweite Tag der Konferenz widmete sich noch einmal zwei deutschen Persönlichkeiten, die mit ihren Schriften zum Thailandbild der Deutschen beigetragen habe. Der mondäne und enigmatische Reiseschriftsteller Ernst von Hesse Wartegg wurde von Prof. Andreas Hartmann (Münster) vorgestellt, während sich Prof. Thanomnuan O’charoen (Chulalongkorn Universität, Bangkok) mit dem Thailandbild in den Tagebüchern des deutschen Eisenbahningenieurs Louis Weiler befasste. Auch diesen beiden Vorträgen wurde der Bericht über den Weg und die Arbeit eines Thailänders von heute in Deutschland gegenübergestellt: Es handelte sich um Dr. Durongphans (Passau) hochinteressanten und eindrucksvollen Bericht über seinen eigenen Weg nach Deutschland und darüber, wie das Leben in Deutschland seine Wahrnehmung von Thailand verändert hat
Zum Schluss stellte Prof. Maliwan Buranapatana (Khon Kaen) eines der ersten deutschsprachigen Lehrbücher der siamesischen Sprache, Walter Trittels Einführung in das Siamesische von 1930 vor und kam damit zu dem zurück, was am Anfang fast aller thailandbezogenen Studien steht: die Beschäftigung mit der Sprache.